Donnerstag, 4. August 2016

STATION TO STATION: … ich bin dahin zurückgekehrt, wo nie zuvor ich war …


Fritz Diederichs Kopie „Mutter mit zwei Kindern“ nach Käthe Kollwitz – Ein mütterliches Schutzmotiv und Antikriegsmahnmal zugleich

1949 schuf der Bildhauer Fritz Diederich (1869–1951) auf Anregung des Bildhauers und Zeichners Gustav Seitz (1906–1969) eine Kopie der Figurengruppe „Mutter mit zwei Kindern“ (1932/1936) nach Käthe Kollwitz (1867–1945) in Muschelkalk. In ihrem beinahe druckfrischem Werkverzeichnis „Käthe Kollwitz – Die Plastik“ legt die Berliner Kunsthistorikerin Dr. Annette Seeler dar,[1] dass Diederichs Fassung auf der Grundlage eines seinerzeit hergestellten Punktiermodells in Gips nach dem originalem Werkmodell aus Stuck von Käthe Kollwitz gehauen wurde.[2] Dieses sogenannte Werkmodell, im November 1933 vom Tonmodell abgenommen, soll Käthe Kollwitz am 18. September 1943 zum Schutz vor Bombenangriffen in die Berliner Nationalgalerie eingeliefert haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg verblieb es zunächst als Dauerleihgabe in der Nationalgalerie zu Ost-Berlin. 2011 wurde es von einem Vertreter der Erbengemeinschaft an das Käthe-Kollwitz-Museum in Berlin gegeben.[3]

Diederichs Kopie, gefertigt im Auftrag des damaligen Magistrats von Berlin, war um 1955 auf dem Kollwitzplatz und bis etwa zur Mitte der 1990er Jahre an der Stelle des 1943 zerstörten ehemaligen Wohnhauses der Künstlerin – heute Kollwitzstraße 58 – im Prenzlauer Berg aufgestellt. Von 1996/97 bis 2014 konnte die Skulptur auf dem Areal des Bezirksamtes Prenzlauer Berg in der Fröbelstraße 17 betrachtet werden. An dieser Stelle erfuhr das Kunstwerk allerdings nur beiläufig Aufmerksamkeit, sodass eine Umsetzung der Figurengruppe, nicht zuletzt auch aus konservatorischen Gründen, avisiert wurde.[4]

Am 28. Januar 2015 beschlossen dann die Vertreter der Bezirksverordnetenversammlung von Pankow, das Bildwerk „[…] wird im Zusammenhang mit der Neugestaltung der Außenanlagen des Kultur- und Bildungszentrums Sebastian Haffner dorthin umgesetzt. […] Vor dem Hintergrund der neu erarbeiteten Dauerausstellung im Museum Pankow mit dem Schwerpunkt 20-er und 30-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bekommt die Skulptur so einen neuen und geschützten Standort und ist in einen historischen und durch die Nähe zum Kollwitz Platz auch in eine sinnvoll konnotierte stadträumliche Situation eingebunden. [sic!] Das Museum Pankow hat sich verpflichtet, die Skulptur mit einer Einhausung gegen Witterungseinflüsse zu schützen, eine Tafel zur Entstehungsgeschichte anzubringen und sich um alle Belange zu kümmern, die dem Erhalt der Skulptur dienen. […]“.[5]

Die Präsentation der am 12. Februar 2016 wiederaufgestellten und augenscheinlich oberflächenbehandelten Skulptur in der Außenanlage des Museums von Pankow in der Prenzlauer Allee 227/228 nimmt aktuell und peu à peu die vereinbarten Formen an. Vor wenigen Wochen wurden um den Sockel herum Pflastersteine verlegt und die Fugen mit feinem Kies aufgefüllt, sodass mehr als ein wesentlicher Grundstein für ein entsprechend angestrebtes Umfeld geschaffen wurde. Die Beschilderung mit der Entstehungsgeschichte des Werkes sowie die Einhausung, beziehungsweise Überdachung, wird wohl in naher Zukunft folgen.

Abb. I: Fritz Diederich, nach Käthe Kollwitz: „Mutter mit zwei Kindern“ vor der Ausstellungshalle des Museums im Prenzlauer Berg bzw. in den Außenanlagen des Kultur- und Bildungszentrums Sebastian Haffner, Prenzlauer Allee 227/228. Foto: Nicky Heise, Juli 2016.

Beobachteter Maßen und verständlicher Weise lässt sich das Motiv auf erster Ebene als vertrautes mütterliches Schutzmotiv auffassen, wenngleich eine weitere Ebene über die ausdrucksstarke Körperhaltung der Mutter mit Kindern recht deutlich wird: Vor welchen Ereignissen sinnt diese Mutter ihre Sprösslinge zu beschützen? Wird es ihr wirklich gelingen können, die Kinder vor allem Unbill des Lebens zu bewahren? Endet man bei seinen Überlegungen unter Umständen bei der Gewissheit darüber, dass es im Zweiten Weltkrieg und auch in unserer Zeit immer wieder zu Angriffen auf Teile der Zivilbevölkerung kam und kommt, entsteht dem nachdenklichen Betrachter tieferes Mitgefühl. Vor dem Hintergrund von Käthe Kollwitz‘ biografisch bedingten Schmerz- und Verlusterfahrungen, ihr Sohn Peter fiel im Ersten Weltkrieg, verdichtet sich hier der Ausdruck eines allgemeingültigen menschlichen Leidensbildes. Es handelt sich bei dem Werk also nicht nur um ein mütterliches Schutzmotiv, sondern aufgrund des tiefergehenden Mahncharakters auch um ein Antikriegsdenkmal.[6]

Abb. II: Fritz Diederich, nach Käthe Kollwitz: „Mutter mit zwei Kindern“, Detailaufnahme. Foto: Nicky Heise, Juli 2016.

Noch eindrücklicher wird diese Leseart nach dem Studium der Sockelinschrift an der Kopie von Diederich.

Abb. III: Sockelinschrift der benannten Figurengruppe. Foto: Nicky Heise, Juli 2016.

Inwiefern diese Darstellung mit posthum zugedachter Sockelinschrift als Sinnstiftung seinerzeit auch für zielgerichtete politische Agitation beansprucht wurde, soll an dieser Stelle keine hinterfragende Betrachtung finden. Auf seine rein formal-ästhetische Wirkung hin, kann das Motiv als Bronzeplastik vor dem Käthe-Kollwitz-Museum in der Fasanenstraße 24 von Berlin-Charlottenburg betrachtet werden.

Beide Käthe-Kollwitz-Museen, das Berliner sowie das Kölner Haus, feierten und feiern in diesem Jahr jeweils ihr 30-jähriges Bestehen mit Jubiläumsausstellungen. In Köln wurde vom 4. März bis zum 5. Juni 2016 eine Ausstellung mit dem Titel „GUSSGESCHICHTE(N) – Das plastische Werk von Käthe Kollwitz in Gips, Stucco, Bronze und Zink“ gezeigt. Ausstellungsbegleitend ist die bereits erwähnte Publikation „Käthe Kollwitz – Die Plastik“ als Werkverzeichnis erschienen. Dr. Annette Seeler widmete sich hierin ausschließlich der genauen Untersuchung des plastischen Schaffens von Käthe Kollwitz. Im Focus steht außerdem die kritische Dokumentation der posthumen Vervielfältigungen von dreidimensionalen Bildwerken der Künstlerin Käthe Kollwitz.NH


Anmerkungen und Quellen:
Die beabsichtigt etwas assoziativ ausfallende Überschrift setzt sich aus dem Titel des 1976er Albums „Station to Station“ von David Bowie und einer Textzeile aus dem Song „Sie“ von der Band Einstürzende Neubauten zusammen.

[1] Vgl.: Annette Seeler: Käthe Kollwitz – Die Plastik. Werkverzeichnis. Hirmer-Verlag, München 2016, PDF-Fassung, WVZ-Nr. 29, S. 20–22, 45 f, 49 f, 65, 111–118, 217, 243, 264 ff. Erschienen zur Ausstellung „Gussgeschichte(n). Das plastische Werk von Käthe Kollwitz in Gips, Stucco, Bronze und Zink", im Käthe Kollwitz Museum Köln vom 4. März bis 5. Juni 2016. (Stand vom 25. Juli 2016)

[2] Anm.: In der Drucksache VII-0768 der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin vom 6. Januar 2015 heißt es, dass Diederichs Kopie unter zu Hilfenahme einer „Zement-Plastik“ entstanden sei. Vgl.: https://politik-bei-uns.de/file/561d9b951ae6a061e7547b56/download. Dr. Annette Seeler nennt in ihrem Werkverzeichnis zwar die Herstellung eines „Steingusses“ im Jahre 1936, setzt diesen jedoch nicht in direkten Zusammenhang mit der Entstehung der Kopie von Diederich 1949. Nach Frau Dr. Seeler schlug außerdem Erich Geiseler (1901–1983) zwischen 1937 und 1938 im Auftrag von Käthe Kollwitz eine Fassung in Donaukalkstein. (wie Fußnote 1, WVZ-PDF Seeler S. 111–113)

[3] Anm.: Auf der Seite des Bildarchivs Foto Marburg ist als Zugangsdatum der Plastik in der Nationalgalerie Berlin das Jahr 1937 festgehalten. Vgl.: http://www.bildindex.de/obj02532965.html#|home. Nicht wie hier zitiert 1943. Vgl.: WVZ-PDF Seeler S. 111–113.


[5] Aus: Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin. Beschluss-Nr.: VII-1142/2015, Beschluss-T.: 3.2.2015, Drucksache VII-0768. Einsehbar als PDF im www. (Stand vom 27. Juli 2016) 

[6] Anm.: Bereits um 1900 änderte sich das öffentliche Verhältnis zu bis dato bereits tradierten Kriegerdenkmälern spürbar. Dienten sie zur Zeit der Kaiserreichsgründung 1871 noch hauptsächlich der eher heroisierenden Erinnerung an außergewöhnlich patriotischen Kampfgeist, so mahnten bereits in den 1890er Jahren einzelne Kriegsversehrtenverbände, Veteranen- und Kriegervereine an, die Schrecken und Leiden von subjektiv erlebten Kriegssituationen mehr in den Fokus der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit zu rücken. Der nur bedingt reflektierten Verehrung von vermeintlichen Kriegshelden sollte nun vermehrt die Auffassung „Nie wieder Krieg“ entgegenstehen. Das Leid- und Verlusthafte des Individuums trat zunehmend in den Vordergrund retrospektiver Betrachtungen. Einzelne Kriegervereine erinnerten somit nicht nur an gefallene, versehrte und überlebende Soldaten in geeigneten Mahnmalen, sondern wiesen häufig bei deren Einweihungs- und Enthüllungsveranstaltungen ganz dezidiert auf die individuellen und gesamtgesellschaftlichen Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen hin.


Weiterführende Literatur:
Josephine Gabler und Martin Fritsch (Hg.): Käthe Kollwitz – Bildhauerin aus Leidenschaft. Das plastische Werk. E. A. Seemann Verlag, Leipzig 2011.

Annette Seeler: Käthe Kollwitz – Die Plastik. Werkverzeichnis. Hirmer-Verlag, München 2016. Erschienen zur Ausstellung „Gussgeschichte(n). Das plastische Werk von Käthe Kollwitz in Gips, Stucco, Bronze und Zink", im Käthe Kollwitz Museum Köln vom 4. März bis 5. Juni 2016.

Links zu den Kollwitz-Museen:
Köln: http://www.kollwitz.de/


Dieser Beitrag ist meiner Mutter, meinem jüngeren Bruder, berufstätig als Bundeswehrsoldat, seiner langjährigen Lebensgefährtin, seiner Tochter sowie dem kommenden Kinde gewidmet.NH